Ernst Kirchweger Haus

Einbau eines neuen Stiegenaufgangs, Fassadensanierung  |  Planung und ÖBA  |  Auftraggeber*in: Wien House GmbH  |  2013  |  Wien



Für den im ersten Stock gelegenen Veranstaltungsraum im Ernst Kirchweger Haus wird ein direkter Zugang von der Gudrunstraße geschaffen. Dafür wird an der Fassade im Erdgeschoß das Paraphet des letzten Fensters zum Nachbarhaus entfernt und eine nach innenversetzte Türe entsprechend dem bestehenden Erscheinungsbild eingebaut. Die darüberliegende Öffnung wird mit einem Oberlichtfenster geschlossen. Sowohl die Erdgeschoß- als auch die darüberliegende Decke werden über eine Breite von 290cm abgebrochen. Der Stiegenraum wird seitlich mit einer Stahlbetonwand und zum Keller mit einer schrägen Stahlbetondecke, auf der die Stufen aufsitzen, abgeschlossen. Konstruktiv werden die Stiegenpodeste zwischen der Trennwand und gegenüberliegenden, vorgesetzten Stahlbetonscheiben eingespannt.

 

 

Das Objekt wurde ab 1931 nach Entwurf der Architekten Wilhelm Baumgarten (SumperklMähren1885 -Raleigh, North Carolina 1959) und Josef Hofbauer (Wien 1875 -1936) als Schule für den tschechischen Schulverein "Komensky" (Skolsky spolek Komensky) errichtet.

 

Geschichtliche und kulturelle Bedeutung

Als ehemalige Komensky-Schule ist das Gebäude ein Dokument der Geschichte der Wiener Tschechen, die insbesondere in Favoriten einen großen Teil der Bevölkerung ausmachten. Seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts waren zahlreiche Arbeitsmigrant*innen aus Böhmen, Mähren und der Slowakei zugewandert, um in den Ziegelgruben des Wiener und Laaer Bergs, in den Fabriken des Industriebezirks und als Hausgehilf*innen und Köch*innen zu arbeiten. Bald entwickelte sich ein reges kulturelles, wirtschaftliches und soziales Netzwerk, das neben zahlreichen tschechischen Vereinen, Interessensvertretungen und Medien auch durch tschechische Bildungsinstitutionen wie den Komensky-Verein repräsentiert wurde. In ihrer fortschrittlichen, modernen und funktionellen Gestaltung ist die ehemalige Schule ein wichtiges Dokument der Prosperität und des Selbstbewusstseins der tschechischen Volksgruppe in Wien. Eine weitere geschichtliche Bedeutung kommt dem Objekt durch seine Benennung nach Ernst Kirchweger, dem ersten politischen Todesopfer der Zweiten Republik zu. Darüber hinaus hat die Besetzung des Hauses im Jahr 1990 und seine darauf folgende Nutzung als internationalistisches, antifaschistisches Zentrum Bedeutung für die Geschichte der linken Szene in Wien.

 

Künstlerische Bedeutung

des Objekts besteht in seiner progressiven Gestaltung. Die Detailgestaltung der Fassaden des ggst. Objekts beschränkt sich auf wenige Elemente: Fenster, Betonpfeiler und durchlaufende Sohlbank- und Sturzgesimse aus Beton fassen die Fenster zu additiven Zeilen zusammen. Dazwischen bleiben lange, durchlaufend verputzte horizontale Mauerstreifen. Diese Gestaltungsprinzipien wurden im kommunalen Wohnbau des Roten Wien, zu dem Hofbauer und Baumgarten beigetragen hatten (Siedlungen Neues Leben und Am Müllnermais, 1921-22, Wohnhausanlagen der Gemeinde Wien, Kennergasse 10 und Herbststraße 101, 1924-30), vorbereitet. Ihre Anwendung am gegenständlichen Objekt - in Form von additiv gereihten Fensterbändern in allen vier Obergeschossen - war jedoch für Wien in dieser Ausschließlichkeit neu und verleiht dem Bau eine auffallende Modernität im Sinn des Neuen Bauens. Die Addition gleichförmiger Elemente als dominierendes Gestaltungselement - unter radikalem Verzicht auf rhythmisierende Zäsuren, Dekor- und Repräsentationselemente verweist auf Funktion und Lage der Räume dahinter. Dort lagen in allen Geschossen gleich gestaltete Klassenzimmer, während die geschlossene Wandfläche an der Baukante die Lage der Lehrsäle (Schmalseiten) anzeigt.

 

Abweichend gestaltet wurde das Erdgeschoß, dem mit Foyerbereich und Saalzugang eine andere Funktion zukommt. Das einzige repräsentative Element der Fassade ist die dreiachsige Pfeilerloggia, die den Eingang ins Vestibül markiert. Das gestalterische Prinzip des Ablesbarmachens von Raumfunktionen an den entsprechenden Fassadenabschnilten ist ein grundlegendes Prinzip der Moderne, das vielfach theoretisch formuliert und auch in die Baupraxis umgesetzt wurde.

 

Als Assistent von Peter Behrens an der Wiener Akademie (1919-1924) war Wilhelm Baumgarten mit diesem Prinzip eng vertraut. Die moderne Architektur war ein bedeutender Identifikationsparameter der 1918 gegründeten Tschechoslowakei. Sie signalisierte Aufbruch, Fortschrittlichkeit, wirtschaftlichen Aufschwung und verbesserte Lebensbedingungen und spiegelte sich im Werk zahlreicher, vor allem in Brünn und Prag aktiver Architekten, wie Bohuslav Fuchs, Ludvik Kysela, Vladmiir Karfik u.a., wider. Einige Bauten tschechischer Institutionen in Wien, wie die Komensky-Schule in Wien und das ggst. Objekt, aber auch das (nicht mehr bestehende) Gebäude des tschechischen Sportvereins "Sokoi" in Wien bedienten sich betont moderner Gestaltungselemente. Es kann daher angenommen werden, dass die architektonische Moderne auch in Wien als Symbol der als modern empfundenden, neuen tschechoslowakischen Identität eingesetzt wurde.

 

Die Aufträge an Baumgarten/Hofbauer hängen wohl mit Baumgartens Herkunft aus der Tschechoslowakei zusammen. Er war 1885 in SumperklMährisch-Schönberg geboren worden und war mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der damals aktuellen tschechischen Architektur vertraut, wobei ein gewisser Einfluss der Arbeiten Vladimir Karfiks möglich scheint. Dadurch hat das gegenständliche Objekt hohen Stellenwert in der Wiener Architekturgeschichte - als fortschrittliche Arbeit eines Wiener Büros im Sinn des Neuen Bauens, die zugleich eine Referenz an die tschechische Moderne und ihren Signal- und Symbolwert für die Wiener Tschechen um 1930 darstellt.

 

(aus: Bescheid Bundesdenkmalamt 5.Juni 2013)